Wofür brennen Sie, Frau Heinemann?

30. März 2022 | Zum Thema

Im Rahmen unserer Feuer & Flamme-Woche haben wir acht blinde und sehbehinderte Menschen gefragt, wofür sie brennen. Eine davon ist Tanja Heinemann. Ihre Leidenschaft stellt die 49-jährige Mutter von zwei Kindern manchmal vor Herausforderungen – am Ende hat die blinde Frau aber unglaublich großen Spaß daran, diese zu überwinden.

Wofür brennen Sie, Frau Heinemann?

Ich habe eigentlich zwei Leidenschaften, für die ich brenne. Das sind einmal meine Kinder, weil es einfach das Tollste ist, wenn man Kinder aufwachsen sieht und sich allen Herausforderungen, die jedes Alter mit sich bringt, stellt. Und meine zweite Leidenschaft ist Theater zu spielen. Ich hätte früher nie gedacht, dass es das mal werden könnte.

Was macht das Theater spielen für Sie zu so einer großen Leidenschaft?

Das Tollste daran ist zu sehen, wie sich ein Stück entwickelt. Am Anfang ist es ein Text. Mit dem Ensemble, also der Theatergruppe, machen wir dann die Rollenfindung und jeder arbeitet sich in seine Rolle ein. Dann wird der Text gelesen und auswendig gelernt. Das alleine macht schon großen Spaß. Und wenn es dann an die Präsenzproben geht, bei denen man zusammenspielen kann, ist das einfach eine ganz, ganz tolle gemeinsame Erfahrung, die man da erlebt. Man macht aus einem Text ein ganz lebendiges Stück.

Tanja Heinemann steht in einem gestreiften Pullover im Vordergrund und deutet eine Verbeugung an. Sie lächelt leicht. Im Hintergrund ist Tanja Heinemann nochmals zwei Mal zu sehen, diese Aufnahmen sind allerdings blasser. Links im Bild lacht sie und schaut nach oben. Rechts im Bild hält sie ihre Arme verschränkt vorm Körper und schaut ernst.

Seit wann spielen Sie Theater?

Auf die Theatergruppe „Theater aus der letzten Reihe“ bin ich 2017 durch einen Arbeitskollegen von mir gestoßen. Er meinte „Ich spiele Theater. Komm, guck dir das doch mal an!“ Meine Tochter und ich sind dann dorthin gefahren und haben uns das Stück angeschaut. Meine damals neunjährige Tochter war richtig begeistert. Nach der Aufführung haben wir uns mit meinem Arbeitskollegen und auch dem Regisseur unterhalten, der meine Tochter dann sozusagen vom Fleck weg engagierte. Die Gruppe war damals auf der Suche nach einem Mädchen für eine Rolle. Und so bin ich erst einmal als Begleitung meiner Tochter in die Gruppe hineingerutscht, weil sie abends nicht alleine nachhause gehen sollte. Das Zuschauen bei den Proben hat alleine schon richtig viel Spaß gemacht.

Im Jahr 2019 fragte mich der Regisseur, ob ich nicht mitmachen möchte, weil ich doch sowieso immer dabei sei. Meine erste Reaktion war dann erst einmal „Nein, das schaffe ich nicht. Das kriege ich nicht hin. Ich habe noch nie Theater gespielt.“ Und dann hat er gesagt „Wir sind hier ein inklusiver Theaterverein. Bei uns kann jeder Mensch mitmachen, egal ob er eine Behinderung hat oder nicht. Und wir möchten dich gerne mit dabeihaben. Wir hätten auch eine Rolle für dich.“ Und dann haben wir eben angefangen, an dieser Rolle zu arbeiten. Anfangs fiel mir das sehr, sehr schwer, weil das auch noch eine Rolle war, die komplett konträr zu meiner eigenen Person war. Letztendlich haben wir dann aber eine tolle Weg gefunden. Und als ich das am Ende geschafft hatte, war ich stolz und so glücklich. Für mich war dann klar, dass ich dabeibleibe.

Was war denn Ihre erste Rolle?

Das Stück war eine Kriminalkomödie. Ich sollte eine blinde Mutter einer jungen Opernsängerin in den 60er Jahren spielen. Während das Mädchen unter einem Burnout litt, war ihre Mutter sehr streng, komplett ernst, lächelte nie und hatte immer etwas zu meckern. Im Stück waren wir dann in einer Klinik und die Mama wollte ihre Tochter mit Pillen behandeln, während der Arzt sagte, dass das Kind einfach Ruhe und Erholung brauche, was die Mutter aber nicht hören wollte. Und diese strenge Mutter zu spielen, war für mich dann erst einmal ganz furchtbar. Am Ende haben wir es aber tatsächlich so hingekriegt, dass jeder erkannt hat, dass ich im Stück zwar eine ganz strenge Person war, ich aber eigentlich nur das Beste für mein Kind wollte. Es war eine wirklich große Herausforderung für mich, hat am Ende aber ganz viel Spaß gemacht.

Stört es Sie, dass Sie oft eine blinde Frau spielen?

Nein, das stört mich nicht. Früher wäre mir das wahrscheinlich, als ich noch nicht Theater gespielt habe, peinlich gewesen eine Blinde zu spielen. Das war anfangs auch eine Überwindung. Ich habe aber mit der Zeit gemerkt, dass es einfacher ist, wenn man sich ein Stück weit selbst spielt. Das Gute ist ja auch, dass es von den Sehenden wahrgenommen, im Text aber gar nicht erwähnt wird. Also in dem Inklusionsstück, an dem wir gerade arbeiten, wird es tatsächlich erwähnt, aber nicht in anderen.

Ich empfinde das mittlerweile einfach als einen großen Vorteil. Dazu gibt es auch eine kleine Anekdote: Als ich das erste Mal diese blinde, ernste Frau vor Publikum gespielt habe, saß unser Regisseur ganz vorne im Publikum. Hinter ihm saß eine Frau, die zu ihrem Mann sagte: „Also Mensch, wie diese Frau da eine Blinde spielt, das ist ja voll überzeugend.“ Der Regisseur hat sich daraufhin umgedreht und hat sie darüber aufgeklärt, dass ich wirklich blind bin. Die Dame war wohl sehr überrascht und konnte das gar nicht richtig glauben, dass ich als blinde Frau so gut Theater spielen und mich auf der Bühne bewegen kann. Und das fand ich, war schon ein tolles Kompliment. Und spätestens da ist jede Sorge verloren gegangen.

Ich bin für andere Rollen aber auch offen. Wenn es dann irgendwann so sein soll, dass ich eine sehende Frau spiele, dann müssen wir eben schauen, dass das auch so rüberkommt. Als wir verschiedene Loriotsketche gespielt haben, bin ich ja auch in ganz unterschiedliche Rollen geschlüpft.

Beim Theaterspiel gilt die Mimik und Gestik als wichtiges Element. Welche Rolle spielt beides für Sie beim Theater?

Davor hatte ich am meisten Angst. Und das ist tatsächlich auch die größte Herausforderung für mich. Mir ist deshalb ganz wichtig, dass ich meinen Text schon auswendig kann, wenn die anderen noch mit ihrem Textblatt auf der Bühne stehen. Zum einen finde ich es persönlich ganz nervig dort Braille zu lesen. Zum anderen möchte ich mir von Anfang an Tipps von den anderen holen, was ich mit der Mimik und Gestik machen kann. Ich will immer versuchen alles so gut wie möglich darzustellen. Und auch wenn ich dann mal komisch gucke, dann helfen mir die anderen. Bei meiner ersten Rolle musste man mich auch öfters an das Ernstsein erinnern, weil ich eigentlich immer viel lache und strahle. „Ey, nicht lachen!“ wurde dann immer mal wieder gesagt.

Und ansonsten gehen wir eigentlich auch davon aus, dass man sich ja auch immer ein Stück weit selbst spielt. Dann ist man eben eine blinde Frau und hat eben nicht die Mimik und Gestik, die man als sehende Person hätte.

Haben Sie großes Lampenfieber vor Auftritten?

Ich habe Lampenfieber und ich denke, das gehört auch dazu. Aber wenn man das erste Mal rausgegangen ist und hat angefangen zu spielen, dann kommt so ein Glücksgefühl auf. Dann sagt man sich „Wow!“ Das macht einfach ganz großen Spaß.

Ihre Ansprechpartnerin

astrid fischer
Blindenhilfswerk Berlin e.V.

 

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