Die Geheimschrift, die Türen öffnet
Alexandra Reinshagen unterrichtet im Blindenhilfswerk Berlin die Punktschrift. Der Kurs, in dem die Grundlagen der Brailleschrift kennengelernt, bereits bestehende Kenntnisse vertieft oder auch Computer- und Notenbraille erlernt werden können, klingt dabei manchmal anders als man das vielleicht erwarten würde. Wer sich im Nebenraum befindet, hört manchmal nämlich ein Quietschen und Rasseln. Im Interview erklärt Frau Reinshagen gemeinsam mit der Teilnehmerin Frau Martini, was es damit auf sich hat und warum es sich lohnt die Brailleschrift zu beherrschen.
Frau Reinshagen, warum sollte die Punktschrift erlernt werden? Oder anders: Wer profitiert davon, sie zu können?
Reinshagen: Ich finde es schon sehr wichtig, die Punktschrift zu können. Mit den Fingern lesen zu können, ist etwas ganz Großartiges. Das kann nicht jeder. Leider glaube ich, dass die Punktschrift irgendwann aussterben wird. Die Technik verdrängt sie einfach zu sehr. Mit dem Smartphone kann man sich ganz viel vorlesen lassen, sodass viele blinde Menschen denken, dass die Brailleschrift gar nicht mehr gebraucht wird. Es ist aber wie eine kleine Geheimschrift. Als Kind konnte ich zum Beispiel heimlich im Dunkeln unter der Bettdecke weiterlesen, obwohl meine Mutter gesagt hat, dass jetzt Schlafenszeit ist und das Licht ausgemacht hat.
Außerdem öffnet es natürlich Türen für Menschen, die beispielsweise spät erblindet sind. Sie müssen ihr Hobby „Lesen“ nicht aufgeben.
Frau Martini, weshalb haben Sie sich für den Brailleschrift-Kurs entschieden?
Martini: Ich bin vor knapp acht Jahren erblindet und habe das Erlernen der Punktschrift eine sehr lange Zeit vehement abgelehnt, weil ich das im Alltag nicht gebraucht habe. Wenn ich in den Supermarkt gehe, benötige ich eben keine Brailleschrift, höchstens mal in einem Fahrstuhl. Und ich kann mir wie schon gesagt viel vorlesen lassen.
Als blinder Mensch wird man aber ständig gefragt, ob man die Blindenschrift kann. Und ich wollte einfach irgendwann sagen „Ja, ich habe einen Kurs angefangen.“ Und nun macht mir das sehr, sehr viel Spaß. Das hatte ich überhaupt nicht erwartet.
Frau Martini, warum ist das Punktschriftlesen so toll?
Martini: Jetzt, wo ich das System der Braille-Buchstaben verstanden habe, öffnen sich ganz neue Möglichkeiten für mich. Ich bin nicht immer auf diese digitale Stimme angewiesen. Außerdem kann ich mir wieder selbst Notizen machen. Und dass mit der Geheimschrift kann ich nur bestätigen! Mein sehender Sohn ist zehn Jahre alt und lernt mit mir gemeinsam die Brailleschrift. Das macht so viel Spaß!
Und ich merke, dass es auch Türen in der Familie öffnen kann, weshalb ich es sinnvoll finde, wenn auch Angehörige eines blinden Menschen die Punktschrift können. Meine Familie arbeitet zum Beispiel viel mit Zetteln. Sie kleben die dann irgendwohin, was mir gar nichts nützt. Wenn wir das in Brailleschrift machen, dann ist das großartig. Es ist die Geheimschrift meiner Kernfamilie.
Was ist denn das Schwierigste am Punktschriftlernen?
Reinshagen: Das Schreiben ist meines Erachtens leichter als das Lesen. Jede Person ist aber anders, weshalb man da nichts verallgemeinern kann. Von daher stelle ich mich auf jeden individuell ein. Die einen kommen schneller voran als die anderen. Das ist in Ordnung. Mir ist Spaß und Lockerheit während des Unterrichts sehr wichtig und ich denke bisher konnte ich allen etwas beibringen.
Martini: Insgesamt habe ich es mir sehr viel schwerer vorgestellt. Für mich ist eigentlich nicht das Lernen das Schwierige daran. Es ist eher das Anwenden im Alltag. Während des Kurses habe ich die Ruhe dafür. Ich kann mir aber derzeit noch nicht vorstellen zu lesen, wenn viele andere Dinge parallel ablaufen. In der U-Bahn wäre mir das Drumherum beispielsweise momentan einfach noch zu laut. Da würde mir die Konzentration zum Lesen fehlen.
Was gefällt Ihnen an diesem Kurs besonders?
Martini: Das Angebot an sich! Er findet als Einzelunterricht auf Augenhöhe statt und das ist super! Der Kurs ist zwar locker, aber trotzdem ist das Unterrichtsniveau hoch.
Reinshagen: Ich freue mich sehr, dass mein Konzept, das ich mir im Vorfeld überlegt habe, aufgeht. Die Sensibilisierungsübungen, die ich mit den Teilnehmenden mache, werden beispielsweise gut angenommen.
Wie sehen diese Sensibilisierungsübungen aus? Und warum sind sie wichtig?
Reinshagen: Wir spielen zum Beispiel ein Tastmemory, bei dem sich die einzelne Teile anders anfühlen und beim Drücken beispielsweise quietschen. Oder auch Suchspiele. Dabei befinden sich mehrere Dinge in einem Eimer und die Teilnehmenden müssen das Gesuchte durchs Tasten finden. Dadurch wird der Tastsinn trainiert, der ja so wichtig ist.
Sie möchten ebenfalls die Brailleschrift erlernen? Dann melden Sie sich bei uns: telefonisch unter 030 790 13 99 16 oder per Mail (n.perstrup@blindenhilfswerk-berlin.de).
Ihr/e Ansprechpartner/in
Carsten Zehe
Tel.: 01522 5883073
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