Wofür brennen Sie, Frau Witzky?

29. März 2022 | Zum Thema

Im Rahmen unserer Feuer & Flamme-Woche haben wir acht blinde und sehbehinderte Menschen gefragt, wofür sie brennen. Eine von Ihnen ist Dagmar Witzky. Als Kind erfuhr die heute 69-Jährige sehr viel Ausgrenzung nach ihrer  Erblindung im Kleinkindalter, was weitreichende Folgen hatte. Ihre Leidenschaft half ihr dabei, diese zu überwinden.

Wofür brennen Sie, Frau Witzky?

Ich brenne für Gedichte. Ich sage ja auch öfters Gedichte auf. 1977 habe ich mit dem Gedicht aufsagen bei einer ABSV-Bezirksgruppenweihnachtsfeier begonnen, weil in den sechs Jahren zuvor immer das gleiche Weihnachtsgedicht aufgesagt worden ist. Das Gedicht hat mir auch gefallen, aber jedes Jahr, sechs Jahre ein und das selbe Gedicht zu hören… das fand ich doch langweilig. Ich hatte dann selbst schon einige Gedichte gesammelt und auch welche geschrieben. 1977 habe ich dann eben die Wende eingeläutet. Ich war damals das jüngste Mitglied der Bezirksgruppe in Reinickendorf. Ich wollte Abwechslung haben. Ich sagte das Gedicht „Die Könige“ von Peter Cornelius auf und es hat auch allen sehr gut gefallen. Ich habe danach viele Jahre lang bei vielen weiteren Festen und anderen Aktionen Gedichte aufgesagt. Zum Beispiel bei Frühlings- und Sommerfesten und auch bei Wanderungen, die wir jeden dritten Sonntag im Monat mit der Bezirksgruppe gemacht haben. Auch sogenannte Knittelverse oder auch Witze beziehungsweise Kalauer habe ich dort vorgetragen. Das fanden die Leute gut und darüber konnten sie lachen.

Dagmar Witzky sitzt hinter einem dicken aufgeschlagenen Buch in Brailleschrift. Sie liest und schaut konzentriert. Das Buch ist indes nur unscharf zu erkennen.

Warum mögen Sie es, Gedichte zu erzählen?

Ich muss dazu sagen, dass ich als Kind recht schüchtern war und sehr wenig geredet habe. Teilweise habe ich mich gar nicht getraut zu sprechen, weil ich als Kind in der Schule ausgelacht wurde. Mit drei Jahren hatte ich eine Hirnhautentzündung, woran ich auch erblindete. Aufgrund dessen war ich später in der Schule drei Jahre zurückgestellt. Ich war in einer sogenannten Hilfsklasse. Die älteren Schulkameradinnen haben sich über mich lustig gemacht, mich ausgelacht, mich Hilfsklecker gerufen. Das hat mich sehr getroffen. Das war nicht gerade schön. Zuhause hatte ich mit dem Sprechen dann auch Probleme. Wenn meine Eltern mich mal fragten, ob ich etwas will, dann habe ich nur ‚ja‘ oder ‚nein‘ gesagt. Ich habe nicht rausgebracht zu sagen, dass ich zum Beispiel ein Glas Wasser haben möchte. Das ist mir sehr schwer gefallen. Das war für mich ein Problem. Mein Vater war natürlich auch ein wenig streng. Es hat dann sehr, sehr lange gedauert bis ich mehr gesprochen habe. Ein Grund, dass ich wieder mehr sprach, waren auch die Gedichte. Durch das Aufsagen hat sich in mir etwas geändert. Gedichte haben mir geholfen, einen Zugang zur Sprache zu finden.

Sind Sie aufgeregt, wenn Sie ein Gedicht vor einer großen Gruppe aufsagen?

Ich bekomme schon feuchte Hände. Ich spreche das jeweilige Gedicht auch vor Beginn leise vor mich hin. Als meine Mutter noch lebte, hatte ich ihr jedes Gedicht vorher diktiert, damit sie mir hätte helfen können, wenn ich stecken bleiben sollte. Gott sei Dank ist aber immer alles gut gegangen.

Haben Sie ein Lieblingsgedicht?

Die Gedichte von Wilhelm Busch und Erich Kästner mag ich sehr gerne.

Ihre Ansprechpartnerin

Blindenhilfswerk Berlin e.V.

 

Weitere interessante Artikel:

Unterstützen Sie uns
Wir bei Facebook
Das Blindenhilfswerk verwendet Cookies, um die Webseite bestmöglich an die Bedürfnisse unserer Besucher anpassen zu können. Wenn Sie auf der Seite weitersurfen stimmen Sie der Cookie-Nutzung zu. Mehr Informationen